Vogel mit drei Füßen
Mit seinem mächtigen Schnabel kann der Ara nicht nur härteste Nüsse knacken. Er braucht ihn auch zum Klettern
von Christian Carganico
Wer einmal eine Paranuss mit einem normalen Nussknacker geöffnet hat,
der weiß, wie schwer deren Schale zu öffnen ist. Da hilft nur Kraft.
Große Papageien wie die Aras kommen mit derselben Methode an den
nahrhaften Kern. Ihr krummer Schnabel entwickelt so viel Druck, dass sie Nüsse knacken können, an denen alle anderen Tiere scheitern. So haben die bunten Vögel im Laufe der Evolution sich eine exklusive Nahrungsquelle erschlossen. Der Schnabel ist ein Wunderwerkzeug. Der hakig übergreifende Oberschnabel lässt sich in einem Gelenk hinter dem Nasenloch gegen den Schädel bewegen. An der inneren Seite des Hakens verlaufen harte Raspelbalken, gegen die die dickfleischige Zunge und der stumpfe Unterschnabel die Nuss drücken. Der Unterschnabel kann seinerseits vor und zurück, aber auch seitlich hin und her bewegt werden.
Diese raffinierte Anatomie erlaubt es Aras, Nüsse zu öffnen,
die sonst nur mit einem Hammer zertrümmert werden können. Dicke
Muskelstränge helfen dabei. Deshalb haben Papageien so einen dicken
Kopf. Mit dem massiven Schnabel beißen sie auch mühelos Drähte bis zu
zwei Millimeter Stärke durch. Zoos und Volierenbesitzer können ein Lied davon singen.
Der mächtige Schnabel hat bei Papageien noch eine andere wichtige
Funktion. Er wird, wie die Füße, zum Klettern im Geäst eingesetzt. Die Zoologen bezeichnen ihn deshalb auch als dritten Fuß. Und in noch einer Verhaltensweise unterscheiden sich Papageien von anderen Vögeln. Sie benutzen ihre Füße wie Hände, indem sie eine Frucht umklammern und zum Schnabel führen.
Neben Raben und Krähen gelten Großpapageien als die intelligentesten Vögel.
So haben Forscher beobachtet, dass Hyazintharas andere Tiere
für sich arbeiten lassen. Dabei geht es um Palmnüsse. Diese Früchte
sind von einem zähen Bast umgeben, den zu entfernen den Aras schwer fällt, weil sie sich ständig den verklebten Schnabel putzen müssen.
Die klugen Vögel beißen die Nüsse ab und lassen sie auf den Boden fallen.
Dort warten schon Agutis, hasengroße Nager, die auf den Bast versessen sind. Die harten Nüsse lassen sie liegen. Wenn die Agutis den Bast gefressen haben, kommen die Aras herbei und sammeln die Nüsse auf.
Lange Zeit war es ein Rätsel, weshalb Aras zu lehmigen Steilufern von Flüssen fliegen und dort die Erde fressen. Zur Verdauung brauchen
sie die nicht.
Der Grund: Neben lebensnotwendigen Mineralien nehmen die
Vögel auch Stoffe auf, die das Gift neutralisieren, das in manchen
Nüssen vorhanden ist. Damit erweitern sie die Palette ihrer Nahrung,
weil andere Tiere instinktiv solche Früchte meiden. Um sich vor Feinden
wie Adlern zu schützen, suchen die Aras die Steilufer nur in großen
Scharen auf. Zuvor versammeln sie sich in der Nähe. Sind etwa 30 bis 40 Artgenossen zusammengekommen, fliegen sie wie auf Kommando los, um an die begehrte Erde zu kommen. Viele Augen sehen mehr als zwei, das scheinen die intelligenten Tiere zu wissen.
Ihr buntes Federkleid und die Fähigkeit, menschliche Stimmen
nachzuahmen, haben die Aras ständiger Verfolgung ausgesetzt. Mehrere
Arten sind mittlerweile ausgestorben. Heute gibt es noch 17 Arten in
ihrer Heimat Mittel- und Südamerika. Am weitesten nördlich lebt der 70 Zentimeter lange Soldatenara . Am häufigsten findet man ihn in Mexiko in Bergwäldern zwischen 500 und 1500 Meter Höhe. Aber auch in den südamerikanischen Anden ist er in Restbeständen noch anzutreffen.
Außerhalb der Brutzeit ziehen die Soldatenaras in kleinen Gruppen
umher. Der Ortswechsel wird durch das Nahrungsangebot bestimmt. Zur Balz kehren die Vögel in ihr angestammtes Brutgebiet zurück. Ihre Nester legen sie in Baumhöhlen und gelegentlich auch auf Felsklippen an. Die zwei bis drei Eier werden knapp vier Wochen bebrütet. Bei der Geburt sind die Jungen nackt und blind - ein schroffer Gegensatz zu den herrlich gefärbten Eltern. Nach drei Monaten ist der Nachwuchs selbstständig.
Soldatenaras sind sich wie alle Aras ein Leben lang treu. Die Partnerschaft wird durch häufiges Kraulen gefestigt. Es ist rührend, wie zärtlich die Paare miteinander umgehen. Bei so viel Liebe halten die Ehen lange. Aras werden über 60 Jahre alt.
Welt am Sonntag
Artikel erschienen am 23. Mär 2003