Auch zahme Papageien sind immer noch Wildvögel
Immer mehr werden zahme Papageien angeboten und gekauft. Blutjung lassen die Tiere alles mit sich geschehen, sind verspielt und niedlich. Dabei wird oft vergessen, dass es sich nicht um einen jungen Hund, sondern um ein Wildtier handelt.
Die Unterschiede sind frappant. Ein Hund ist ein domestiziertes Tier, er wurde über viele Generationen in Menschenobhut gezüchtet. Durch gezielte Zucht wurden Eigenschaften herausgezüchtet, die den Menschen dienlich sind. Auch wenn ein Hund immer noch die Gene seines Urahnen in sich hat, so ist er doch ausserordentlich gut an das Leben beim und mit dem Menschen angepasst. Er akzeptiert ihn als Meister, ja er braucht ihn. Er will sich ihm anschliessen und von ihm gelobt werden.
Ein junger Graupapagei (Psittacus erithacus), eine junge Blaustirnamazone (Amazona aestiva), ein Mohrenkopfpapagei (Poicephalus senegalus) oder jeder andere Grosspapagei aber trägt vollständig den tropischen Regenwald oder die Savanne in seinem Herzen, auch wenn er bereits in der Schweiz geschlüpft ist. Meistens waren seine Eltern, bestimmt aber die Grosseltern oder Urgrosseltern noch Wildfänge, Vögel also, die in freier Natur irgendwo in den Tropen ihr Leben meisterten.
Grosspapageien haben eine geringe Reproduktionsrate und leben lange. Die Domestikation des Hundes, der im Gegensatz zum Papagei ein kurzlebiges Tier ist, begann lange vor Christus. Das lässt erahnen, wie lange es bei Papageien gehen müsste, bis sie völlig an das Leben in Menschenobhut angepasst sind. Einzig der Wellensittich wurde bereits in so vielen Generationen in Menschenobhut nachgezüchtet, dass er als domestiziert gelten kann. Diese Kleinsittiche sind völlig an das Leben im Käfig und bei Menschen angepasst und wurden teilweise in ihrer Form und Farbe durch die Zucht vom Menschen stark verändert.
Ein junger Papagei wächst in der Natur heran
Stellen wir uns den unendlichen tropischen Regenwald in Westafrika vor. Ein mächtiger Baum mit in der Sonne silbern scheinendem, glänzendem Stamm ragt über die Baumkronen hinaus. Erst über all den anderen Bäumen bildet sich seine Krone aus. Im Schatten des Laubes, dort wo ein Ast abgebrochen ist, befindet sich eine dunkle Höhle. Sie reicht weit hinunter. Tief in dieser Düsternis wachsen drei junge Graupapageien auf. Ihre Eltern füttern sie eifrig mit vorverdautem Futter, das sie im Regenwald gesammelt haben. Die Jungen sind nun elf Wochen alt und versuchen, den morschen Holzstamm hinaufzuklettern. Einem ist es bereits gelungen. Es lugt neugierig, aber auch ängstlich in die neue Welt. Seine beiden Geschwister drängeln immer mehr zum hellen Eingang. Einen ganzen Tag krallt sich das Junge am Eingang fest und verschwindet dann wieder in der Höhle, als sich plötzlich die Nacht über den Regenwald legt.
Am nächsten Morgen fliegen die Eltern weg und kommen lange nicht wieder. Aus Neugier und von Hunger geplagt, klettern die Jungen wieder zum Eingang. Nun flattern die Eltern herbei, geben den Jungen aber nicht sofort Futter. Sie sitzen in den Ästen und locken ihre Jungschar durch Pfiffe und Rufe hinaus. Als ein Sonnenstrahl direkt den Höhleneingang trifft, fliegt der erste Graupapagei aus. Er stürzt zuerst ab, fängt sich auf und segelt dann über den Regenwald. Der Vater fliegt mit ihm und landet in der gleichen Baumkrone wie der Jungvogel, der sich an einem ersten, dünnen Ast festkrallt.
Nun geht alles schnell. Bereits nach wenigen Stunden ist der Jungvogel wendig und zu einem guten Flieger geworden. Auch seine Geschwister sind ausgeflogen, der ganze Familienverband ist jetzt unterwegs im Regenwald. Die jungen Graupapageien fliegen zusammen mit ihren Eltern durch den westafrikanischen Wald, lernen Futter kennen und begegnen Artgenossen. Manchmal müssen sie auch vor Feinden, beispielsweise vor Raubvögeln, flüchten. Wenn einmal die Situation eintritt, dass ein junger Graupapagei sich verfliegt und sich irgendwo in dichter Vegetation alleine wiederfindet, gerät er in Panik, denn alleine zu sein bedeutet höchstwahrscheinlich den Tod für ihn. Er ruft und ruft, bis ihn ein Elternteil findet.
Nach rund zwei Jahren haben die Jungen den Regenwald, seine Gefahren und Futterquellen kennengelernt, und lösen sich langsam von den Eltern. In riesigen Schwärmen finden sie sich am Morgen früh auf Waldlichtungen ein und übernachten auch mit vielen Artgenossen in Pandanusspalmenhainen, die im Wasser stehen. Dort fühlen sie sich sicher. Nach und nach lösen sie sich auch von ihren Geschwistern und beginnen, sich für andere Graupapageien zu interessieren. Im Alter von ungefähr fünf bis sechs Jahren schliessen sie sich selber eng einem Partner an und verlassen ihre Familie endgültig.
Situation in Menschenobhut - oft ein Missverständnis
Natürlich wachsen junge Amazonen oder Aras ähnlich auf, dann allerdings im Regenwald Südamerikas. Auch wenn ein junger Graupapagei, eine junge Amazone, ein junger Ara oder auch ein junger Kakadu bei uns aufwächst, so trägt er doch den Regenwald in seinem Herzen, denn seine Eltern oder Grosseltern lebten noch in den Tropen. Werden die Jungen zur Handaufzucht dem Nest entnommen, was vielfach geschieht, erleben sie einen ersten Schock. Etwas Aussergewöhnliches, das in die Nisthöhle greift, ist immer ein Feind, für die Eltern wie für die Jungen ein traumatisches Erlebnis. Weil die Jungen vom Menschen von Hand gefüttert werden, gewöhnen sie sich schnell an ihn und akzeptieren ihn schon nach wenigen Tagen als einen Elternteil. Die jungen Papageien werden selbstständig und haben den Menschen als Futterbringer und freundlichen Kumpan kennengelernt. Im schlechtesten Fall verkauft der Züchter einen einzelnen Papagei. Die neuen Besitzer nehmen sich Zeit für das Tier, sie haben extra Ferien genommen und sind immer zu Hause. Auch mit dieser Situation wird der Jungpapagei fertig. Er lernt die neuen Menschen kennen und schätzen. Kommt aber der Tag, wo der Vogel zum ersten Mal alleine gelassen wird, gerät er in Panik, denn er weiss ja nicht, dass die Menschen nach einigen Stunden wieder zurückkommen werden. Der Vogel schreit und wird verstört. Niemand hat ihm gezeigt, dass er sich mit den Ästen und dem Spielzeug im Käfig beschäftigen kann. Er hat vor diesen unbekannten Gegenständen Angst, sitzt alleine im Käfig in der Wohnung und langweilt sich. Da entdeckt er seine eigenen Federn und beginnt daran zu zupfen. Der Schritt zum Rupfer ist gemacht. Gestörtes VerhaltenDer Papagei wird langsam erwachsen. In der Natur würde er sich jetzt anderen Vögeln anschliessen und sich von den Eltern lösen. Die Frau, die ihn immer umsorgt hat, die ihn sich gewünscht hat und die ihn liebt, betrachtet der Papagei als einen Elternteil. Den will er nun verlassen und fliegt immer wieder zum Mann, der ihn eigentlich nicht wollte und nicht liebt. Er flüchtet vor dem Vogel, den er lediglich als aufdringlich empfindet. Die Frau kann nicht begreifen, warum das Tier jetzt plötzlich nichts mehr von ihr wissen will. Da der Jungpapagei alleine ist, kann er sich auch nicht einem anderen Papagei anschliessen. Die Frau ist enttäuscht und der Vogel frustriert. Er beginnt vollends mit dem Rupfen, sodass auch die Frau die Freude am Vogel verliert und ihn abschieben will. Hätte sie sich zu Beginn eingehend mit Papageien beschäftigt und Fachliteratur gelesen, dann hätte sie ihren Papagei besser verstanden und gar nicht erst lediglich ein einzelnes Exemplar gekauft. Sie hätte ihn auch nicht in einem Käfig gehalten, sondern zu zweit in einer Zimmervoliere. Entgegen der viel geäusserten Meinung, dass nur Handaufzuchten zahm werden, werden auch jung zum Menschen gekommene Elternaufzuchten zutraulich, und sie sind im Allgemeinen psychisch stabiler. Es erfordert aber mehr Geduld und Einfühlungsvermögen vom Menschen, das Vertrauen eines solchen Papageis zu gewinnen. Wenn eine Handaufzucht erworben wird, dann sollte darauf geachtet werden, dass sie erst im Alter von siebenWochen oder später zur Handaufzucht entnommen wurde. Wichtig zu wissen ist auch, wie der Vogel von Hand aufgezogen wurde. Hatte er Artgenossen oder andere Papageien um sich? Konnte er nachher in einer grossen Voliere fliegen? Hatte er dort Gelegenheit, sich mit anderen Jungpapageien auszutauschen? Einen jungen Papagei hält man langfristig gesund zu zweit in einer Zimmervoliere von zwei auf zwei Metern und Zimmerhöhe. Wenn es auch nicht ganz natürlich ist, dass der Vogel von jung an mit dem gleichen Partner lebt, so ist diese Haltungsform doch die erträglichste. Eine spätere Zucht gelingt bei den meisten Arten auch so. Es ist normal, dass ein Papagei wild mit den Flügeln schlägt, dass er schreit, dass er manchmal auch reflexartig beisst und dass er vor gewissen Vorkommnissen, die ihm unbekannt sind, in Angst gerät. Diese Angst und die reflexartige Flucht würde ihn in der Natur vor dem Tod bewahren. Ein Papagei durchlebt unterschiedliche Phasen und wird, besonders in der geschlechtsreifen Phase, hin und wieder auch aggressiv. Er ist eben ein Wildtier, das wir uns in die Stube geholt haben, ein Wildtier, das wir gut halten können, für dessen Verhaltensweisen und Bedürfnisse wir aber auch Verständnis haben müssen. Wenn wir uns vor Augen halten, wie Papageien in Freiheit leben, gelingt das eher. Text und Bilder: Lars LepperhoffTierwelt, Nr. 18, 2007