Embryotod beim Hyazinthara
So majestätisch, azurblau und wunderbar sich uns die Hyazinth-aras (Anodorhynchus hyacinthinus) auch präsentieren, es gibt doch ein weltweit bekanntes Problem in deren Zucht: den Embryotod kurz vor dem Schlupf. Immer noch sind die Gründe unklar, und viele Meinungen kursieren. Einige Punkte sollen an dieser Stelle diskutiert werden.
Aufgeregt stehe ich vor dem Brutapparat und sehe, wie sich das Ei auf dem automatischen Wender etwas bewegt. In meiner Fantasie male ich mir schon einen schlüpfenden Hyazinthara aus. Beim Durchleuchten stelle ich fest, dass der Embryo mit dem Schnabel in die Luftkammer vorgestossen ist und die Eihaut mit dem Eizahn durchstossen hat. Der Jungvogel hat bereits auf Lungenatmung umgestellt, ein schwer wiegender Eingriff im Leben eines Embryos. Sogar die Eischale ist sternförmig angepickt. Nun ist Geduld angesagt. Aus Erfahrung weiss ich bereits, dass es jetzt sehr lange gehen kann, das heisst bis zu drei Tagen, bis sich weiter etwas tun wird.
Ich nehme das Ei von der Wendevorrichtung, gebe es in eine kleine Schale und lege es unter den Wender. Nach neueren Erkenntnissen können die Eier aber auch bis zum Schlupf auf dem Wender belassen werden. Ich erlebte es schon, dass Jungvögel bereits auf dem Wender herumkrabbelten, als ich in den Inkubator blickte.
Die Luftfeuchtigkeit erhöhe ich auf 65 Prozent.
Am zweiten Tag stelle ich fest, dass das Junge nur noch matt im Ei ruft. Meine böse Vorahnung bestätigt sich am Folgetag. Der Jungvogel ist kurz vor dem Schlupf abgestorben. Das Eidotter wurde lediglich zur Hälfte eingezogen. Es hätte das Junge während des ersten Lebenstages mit Nahrung versorgt. Erneut ist ein Hyazinthara-Embryo abgestorben.
Es ist nicht sehr schwierig, von harmonierenden Hyazintharas befruchtete Eier zu erhalten. Viel schwieriger ist es, die Embryonen erfolgreich zum Schlupf zu bringen.
Gründe für den Embryotod
In unserer Volierenanlage züchteten Dunkelrote Aras (Ara chloroptera), Gelbbrustaras (Ara ararauna) und Grosse Soldatenaras (Ara ambigua) ohne nennenswerte Probleme. Warum also stellten uns die Hyazintharas vor so grosse Herausforderungen? Natürlich war immer mal wieder ein Junges erfolgreich geschlüpft, in der Kunstbrut wie unter den Eltern. Aber die Anzahl abgestorbener Embryonen war einfach viel zu hoch. Das liess mich Nachforschungen in Zuchtanlagen weltweit anstellen. Doch die Frage, die mich als Erstes interessierte, war: «Wie sieht es in freier Wildbahn aus?»
Hyazintharas in Brasilien
Lourival Lima sitzt oben auf der Felswand des Tafelberges und blickt sinnend über die einsamen Ebenen des brasilianischen Bundesstaates Piaui. Sein Kollege Armando Machado baumelt unten an der Felswand an einem Seil, das oben bei Lourival an einem Baumstamm festgebunden ist. Nun zieht er sich an die Wand, fasst Fuss und klettert in eine Felshöhle. Die beiden sind ein eingespieltes Team. Schon als Kind wurde Armando zu besonders engen Höhlen abgeseilt, um Hyazinthara-Junge zu entnehmen. Ich warte unten in der dichten Cerrado-Vegetation des einmaligen Trockenwaldes des Nordostens Brasiliens und verfolge die Klettertour mit dem Feldstecher. Später berichtet mir Armando, was er in der Höhle vorgefunden hat.
Natürlich ist nicht Brutzeit, sodass die Hyazintharas nicht gestört werden. Die ehemaligen Hyazinthara-Fänger zeigen heute Touristen die herrlichen Vögel und sind zu deren Beschützern geworden, dies auf Grund einer Initiative von Dr. Charles Munn und des World Parrot Trust (WPT).
Die Höhle war innen so gross, dass ein Mann stehen konnte. An den Wänden rann Wasser und an der Decke bildeten sich Stalaktiten. Das Hyazinthara-Weibchen würde jeweils auf Sand auf einem Felsvorsprung brüten, berichtete Armando. Das Hygrometer, das ich ihm mitgab, zeigte gegen 80 Prozent Luftfeuchtigkeit an. Die Männer berichten mir am Abend am Lagerfeuer, dass sie oft Paare beobachtet hätten, die zwei Junge grossbrachten. Über abgestorbene Eier wussten sie nicht Bescheid, da sie erst in die Höhlen kletterten, als die Jungen bereits einige Wochen alt waren.
Später, als ich über Brasilia und Manaus via Tabatinga nach Téfé fliege, um von dort per Schiff in das Mamiraua-Schutzgebiet am oberen Amazonas zu gelangen, treffe ich auf den Biologen Leonardo Colombo Fleck. Er arbeitete einige Zeit im Pantanal zusammen mit der bekannten Hyazinthara-Schützerin Neiva Guedes. Die Hyazintharas des Pantanal nisten, im Gegensatz zu denjenigen Piauis und Bahias, in Baumhöhlen. Durch das Anbringen von Nistkästen aber konnte die Produktivität der Vögel gesteigert werden. Was mir Fleck berichtete, war nun doch sehr interessant. Da in diesem Projekt häufig Nestkontrollen durchgeführt wurden, wussten die Biologen über die Sterblichkeitsrate von Embryonen viel besser Bescheid. Leonardo Colombo Fleck entdeckte in etlichen Nestern abgestorbene Embryonen. Wenn diese Ergebnisse auch nicht weiter ausgewertet wurden, so erhielt ich doch einen Hinweis darauf, dass dieses Problem auch in Freiheit auftritt, wenn vermutlich auch nie in dem Ausmass wie unter menschlicher Obhut.
Genetischer Flaschenhals
Um die hohe Embryomortalität zu erklären, wird immer wieder die Theorie des genetischen Flaschenhalses herangezogen. Demnach lebten die Hyazintharas einst in grosser Zahl in Südamerika. Auf Grund eines Ereignisses schrumpfte die Population arg zusammen, um sich anschliessend wieder auszudehnen, was zur Folge hatte, dass viele Individuen eng miteinander verwandt sind.
Wer abgestorbene Embryonen untersuchen lässt, erhält vielfach den Hinweis, dass die genetische Disposition der Elterntiere nicht stimmt. Wenn diese Theorie auch recht plausibel tönt, so zweifle ich sie doch an. Von vielen Tierarten, besonders auch von Vogelarten, ist bekannt, dass sie sich aus nur weni-gen Individuen wieder aufgebaut haben, ohne gross Schaden zu nehmen. Ich denke da beispielsweise an die Hawaiigans (Branta sandwicensis) oder den Echosittich (Psittacula echo). Heute leben in Brasilien noch drei Hyazinthara-Populationen, die untereinander keinen Kontakt mehr haben. Es handelt sich um die Bestände des Pantanal, um diejenigen der Cerrado-Vegetation in Piaui und Bahia sowie um einen Bestand im amazonischen Tieflandregenwald am Rio Tapajos. Allgemein haben sich die Hyazinthara-Bestände dank intensiver Schutzbemühungen recht gut erholt.
Kunstbrut und Elternbrut
Bei uns starben Embryonen aus Eiern ab, die kurz vor dem Schlupf in den Brutapparat gegeben wurden oder auch solche, die wir nach zwei Wochen Bebrütung durch das Weibchen in den Inkubator gaben. Es starben aber auch Embryonen ab, die vollständig durch die Eltern bebrütet wurden. Auffallend war, dass ein Junges schlüpfte, das bei einem erfahrenen Ammenpaar, einem Paar Dunkelroter Aras, untergelegt wurde. Leisten erfahrene Eltern Schlupfhilfe? Die Nistkastenaufnahmen des deutschen Züchters Norbert Hebel zeigten eindeutig, dass dem so ist.
Welche Luftfeuchtigkeit?
Bei Aras allgemein denkt der Züchter, dass es sich ja um Tropenwaldbewohner handelt und darum eine hohe Luftfeuchtigkeit im Brutapparat von Vorteil ist. In Anbetracht der Feststellung und der Messungen von Armando Machado in der Felsenhöhle in Piaui ist es doch verwunderlich, dass unter Menschen-obhut eine zu hohe Luftfeuchtigkeit auch zu einer hohen Sterblichkeitsrate führt. Wenn Aras nur in Innenräumen gehalten werden und die Luftzirkulation unzureichend ist, sodass die Feuchtigkeit im Raum immer bei 80 Prozent und mehr liegt, sterben viele Embryonen, bei den Elterntieren belassen, vor dem Schlupf ab. Wenn mittels eines Ventilators und vieler offener Fenster vom Frühling bis Herbst eine gute Luftzirkulation erreicht wird, kann die Feuchtigkeit gesenkt werden, sodass gute Schlupfresultate erzielt werden.
Im Brutapparat hatten wir die grössten Erfolge bei sehr trockenen Bedingungen von 40 Prozent. Ich betrieb den Inkubator ohne Wasser. Lediglich in der Schlupfphase erhöhte ich die Feuchtigkeit auf 55 bis 60 Prozent. Trotzdem starben immer noch viele Hyazinthara-Embryos vor dem Schlupf ab.
Die Züchterin Kashmir Csaky aus den USA ging sogar so weit, die Eischalen zu schmirgeln, wenn die Gewichtsabnahme der Eier nicht zufrieden stellend erfolgte. Allgemein sollte ein Ei pro Tag 0,2 Gramm an Gewicht verlieren. Sie stellte fest, dass gewisse Eischalen zu wenig porös sind. Durch das Schmirgeln erreichte sie bessere Gewichtsabnahmen, die dann auch zu einem erfolgreichen Schlupf führten. Auch im Regenwald kann es tagsüber in der der Sonne ausgesetzten Baumhöhle sehr trocken werden.
In der Voliere Hyacinthinus hielten wir immer eine Temperatur von 37,2 bis 37,4 °C im Brutapparat.
Die Anzahl der Wendungen
Der deutsche Hyazinthara-Züchter Norbert Hebel war der Erste, der auch beim Hyazinthara Nistkastenkameras anbrachte. Dabei konnte beobachtet werden, dass das Weibchen die Eier häufig wendet. Es findet eine nicht zu unterschätzende psychosoziale Betreuung statt. Im Brutapparat liessen wir die Eier in 24 Stunden achtmal wenden. Wir unternahmen aber auch Versuche, indem wir die Eier stündlich automatisch wenden liessen. Der britische Züchter John Heath schwor auf diese Methode. Trotzdem konnten wir auch damit keine zufrieden stellenden Erfolge erzielen.
Ernährung der Hyazintharas
Hyazintharas in Brasilien ernähren sich hauptsächlich von Nüssen verschiedener Palmengattungen wie Syagrus, Attalea, Leopoldinia, Astrocaryum und Scheelea. Darum ist es gut, die Vögel auch unter Menschenobhut proteinreich zu ernähren. Wir boten täglich Baum-, Para-, Erd- und Haselnüsse an. Zudem kamen später noch Bocaiuva-Nüsse hinzu. Dank der Zufütterung dieser harten Nuss, die nur von Hyazintharas geöffnet werden kann, erzielten gewisse deutsche Züchter bessere Zuchterfolge. Regelmässig reichten wir unseren Tieren auch Kokosnussstücke sowie Macadamia-Nüsse. Wenn ausreichend Nüsse vorhanden waren, nahmen die Hyazintharas kein Körnerfutter mehr auf. Wir erzielten keine besseren Erfolge, wenn wir während mehreren Jahren das Futter täglich zusätzlich vitaminisierten.
Zusätzlicher Sauerstoff
Im heute leider nicht mehr existierenden Avicultural Breeding and Research Center (ABRC) in Florida konnten verschiedentlich Junge gerettet werden, die das Eidotter noch nicht ganz eingezogen hatten. Überfällige Eier wurden meistens mittels Schlupfhilfe geöffnet. Kam ein Junges zum Vorschein, das das Eidotter noch nicht ganz eingezogen hatte, wurde es wieder in die Schale zurückgesetzt und kam in ein separates Schälchen. Darum herum sorgten feuchte Tücher für eine hohe Luftfeuchtigkeit. Das Schälchen und die Tücher wurden in einen Plastiksack gegeben und in einen besonderen Schlupfapparat gestellt. Von einer Sauerstoffflasche wurde mittels Schlauch Sauerstoff direkt in den zugebundenen Plastiksack geblasen. Die intensive Zuführung von Sauerstoff hat die Jungen stark animiert. Nach einigen Stunden war das Dotter jeweils eingezogen. Auch in der Voliere Hyacinthinus konnten wir durch Anwendung dieser Methode schon Junge retten.
Ein weltweites Problem
Auch im ABRC in Loxahatchee, USA, kämpften die Kuratorinnen mit dem Problem der hohen Embryosterblichkeit. Es ist ein weltweit bekanntes, vielschichtiges Problem, das leider häufig auf eine einzige Komponente reduziert wird, beispielsweise die Luftfeuchtigkeit. Nachdem wir nun aber viele Möglichkeiten während mehreren Jahren ausprobiert hatten, glaube ich sagen zu dürfen, dass das Problem der Embryomortalität entweder ernährungsbedingt ist oder aber eine Vielzahl von Vorkommnissen dazu führt.
Oder es spielen gewisse, nicht fassbare Eigenschaften eine Rolle, die zum Erfolg führen. Mir ist während all den Jahren, in denen ich mich mit dem Problem beschäftigte, aufgefallen, dass es immer wieder Zuchten gibt, die mit Hyazintharas ausserordentlich erfolgreich sind. Etliche dieser Zuchten befinden sich in Meeresnähe. Ich war in Zuchten auf Malta, Italien und auch in Schweden zugegen, als die Aras gefüttert wurden. Sie wurden nicht viel anders ernährt als unsere Tiere. Die Volierenausstattung war oftmals karger und trotzdem kamen viel mehr Junge zum Schlupf. Der Vollständigkeit halber muss aber gesagt werden, dass auch der ABRC in Meeresnähe lag und nicht sehr erfolgreich war.
Frau Professor Helga Gerlach aus München untersuchte unsere Embryonen. Sie konnte keine Krankheiten oder Mangelerscheinungen feststellen und merkte lediglich an, dass die Tiere im Binnenland Schweiz zu wenig Jod abbekämen, was zu einem Energiemangel führen könnte. Die Embryonen speicherten kein Glykogen. Das leuchtete mir ein, da in Ländern mit Meeranstoss Jod natürlicherweise in der Luft vorhanden ist. Durch zusätzliche Gaben von 6 bis 10 Tropfen Lugolscher Lösung täglich ab sechs Wochen vor Zuchtbeginn kann eine Verbesserung der Schilddrüsenleistung durch Einlagerung von Jod in das Dotter erzielt werden. Doch Achtung: Zu viel Jod kann auch wieder zu hoher Embryosterblichkeit führen. Der durchschlagende Erfolg gelang uns aber auch damit nicht.
In der Schweiz und in Deutschland gibt es Hyazinthara-Paare, die regelmässig Junge aufziehen. Manchmal frage ich mich, ob gewisse Standorte einfach nicht geeignet sind für Hyazintharas, denn rational lässt sich nicht erklären, warum gewisse Paare immer wieder Junge zum Schlupf bringen, andere nie. Dabei ist es nicht so, dass die Züchter, die Erfolg haben, anders mit den Vögeln umgehen oder sie anders halten oder ernähren. Ob wohl Druckverhältnisse, Wasseradern oder andere uns nicht bekannte Vorkommnisse eine Rolle spielen?
Lars Lepperhoff
Embryotod bei Papageien allgemein
Bei allen Papageienarten kommt es immer wieder vor, dass Embryonen während der Entwicklung oder kurz vor dem Schlupf absterben. Handelt es sich nicht um regelmässige Vorkommnisse, besteht kein Grund zur Sorge. Sind die Eier im Nistkasten belassen worden und sterben sie regelmässig ab, sind grundsätzliche Fragen angesagt:
- Stimmt die Ernährung der Altvögel?
- Wurden die Elterntiere mit Medikamenten behandelt?
- Hatten die Elterntiere Zugang zu giftigen Stoffen?
- Ereigneten sich Vibrationen beispielsweise durch Baumaschinen in der Nähe der Volierenanlage?
- Leidet das Weibchen unter bakteriellen Problemen?
- Krankheiten allgemein im Bestand?
Im Brutapparat kommen folgende Überlegungen hinzu:
- Temperatur zu hoch, zu niedrig oder generell instabil?
- Ungenügende Luftumwälzung oder Frischluftzufuhr?
- Wendungen?
- Luftfeuchtigkeit zu hoch oder zu niedrig?
- Stromausfall?
- Zu hohe Vibrationen durch den Ventilator?
Tierwelt, Nr. 28, 2006